Ein kurzer Einblick

Ursprung

Das Yezidentum[1] ist eine monotheistische[2] Religion aus dem Nahen Osten, dessen Wurzeln in eine weit vorchristliche Zeit zurückreichen. Die Selbstbezeichnung der Yeziden[3] lautet Ezdi,  Ezdai, oder „Ez da“, was so viel bedeutet wie Gott schuf, bzw. Gottes Schöpfung.

Das Yezidentum ist keine missionierende Religion, demzufolge gibt es keine Möglichkeit zu diesem Glauben zu konvertieren, wodurch diese Religion im Gegensatz zu anderen Religionen praktisch nicht expandiert.

Verbreitung und Verfolgung

Die Yeziden werden im allgemeinen von Ihrer Volkszugehörigkeit zu den Kurden gezählt und ihre Sprache wird oftmals als das nordkurdische Kurmanji[4] klassifiziert. Es ist wichtig zu beachten, dass es sich hierbei aus Sicht der Êzîden um eine Fremdbezeichnung handelt. Die Êzîden sehen sich selbst als ethno-religiöse Gruppe und haben sich in Ihre gesamten Geschichte auch als solche definiert, ähnlich wie man es von “den Juden” kennt. Da sowohl das Siedlungsgebiet[5], als auch die Sprache äquivalent mit der heute im allgemeinen als kurdisch bezeichneten Volksgruppe ist, gilt allgemein die These, dass das Êzîdentum die ursprüngliche Religion aller Kurden war. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich der Begriff “Kurden”, oder “kurdisch” manifestiert. Viele Êzîden bezeichnen sich daher im allgemeinen selbst als Kurden, wobei unter diesem Sammelbegriff auch nicht ezidische Kurden (Muslime / Christen / Juden) gemeint sind. Sie bilden eine religiöse Minderheit unter den inzwischen mehrheitlich zum Islam konvertierten Kurden und haben immer versucht friedlich Seite an Seite mit Ihnen zu leben. Dies hat teilweise reibungsfrei für Jahrzehnte, bzw. Jahrhunderte funktioniert, doch kam es einmal zu Übergriffen, dann wurde nicht zuletzt aufgrund der zahlenmäßigen Unterlegenheit schnell ein Genozid daraus. Ganze Landstriche wurden dabei “ezidenfrei” gemacht.

Bei dem im allgemeinen als “Völkermord an den Armeniern” bekannten Genozid in den Jahren 1915 – 1916, fand zeitgleich ein Völkermord an den Eziden statt. Durch diese Ereignisse wurden tausende Quadratkilometer im Osten der Türkei “bereinigt”. Alle die dem Völkermord und der Zwangskonvertierung entgehen konnten, sind hierbei zumeist in Kaukasische Gebiete, unter anderem nach Armenien, Georgien und Russland ausgewandert, wo es seit jeher êzîdische Gemeinden gibt. Zudem gibt es die Êzidische Diaspora in Europa und Amerika. In Deutschland leben schätzungsweise 60.000 – 120.000 Yeziden, die zum größten Teil in den 1980ern, als Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschland kamen. Bereits zu dieser Zeit bildeten sich nach und nach yezidische Gemeinden, unter anderem auch in Ostfriesland, wo es seit 1990 den Yezidischen Kulturverein in Ostfriesland e.V. gibt. Insgesamt wird die Zahl der Yeziden auf weltweit 800.000 – 1.000.000 geschätzt, wobei der größte Teil im Nordirak beheimatet ist.

Der Yezidische Glaube ist anderen Religionen gegenüber sehr tolerant, da man nicht mit anderen Religionen um Anhänger konkurriert.

Eines der wichtigsten êzîdischen Gebete lautet:

„Lieber Gott, schütze erst die 72 anderen Völker und danach uns.“

Dennoch waren die Yeziden in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden ständiger Verfolgung, Unterdrückung und Diskriminierung ausgesetzt. Ihr Siedlungsgebiet (Ezdîxan / Kurdistan), ist seit Jahrtausenden Schauplatz von unzähligen Kriegen. Viele Großreiche sind dort entstanden und gefallen und die Yeziden waren dabei immer wieder Opfer von Gräueltaten. Aktuell sind die Yeziden im Nordirak in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt, da sie gezielt von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS, bzw. ISIS) verfolgt, getötet und versklavt werden. Der gegenwärtige Völkermord ist nur der letzte von insgesamt 74 mündlich überlieferten Genoziden, im Laufe der Jahrtausende. 

Das Kastensystem

Im 11. – 12. Jahrhundert wurde das Yezidentum durch „Scheich Adi“, welcher eine zentrale Figur im Yezidentum einnimmt, reformiert. Im Zuge dieser Reformation, wurde das Kastensystem eingeführt, welches sich wie folgt gliedert:

Die Scheiche: Sie sind die  geistlichen Führungskräfte der Yeziden, mit zusätzlichen administrativen Funktionen. Sie nehmen an allen Zeremonien und Feierlichkeiten, bis hin zum Begräbnis teil und haben innerhalb der yezidischen Gesellschaft eine Schlichterfunktion.

Die Pirs: Die Pirs[6] gehören neben den Scheichen ebenfalls zu den religiösen Führungskräften. Auch sie sind dafür zuständig, den Glauben aufrecht zu halten. Sie nehmen ebenfalls an Zeremonien teil und fungieren als Ansprechpartner für die Muriden.

Die Muriden: Die Muriden bilden die Größte Kaste innerhalb der Yeziden und repräsentieren im Prinzip das normale Volk, innerhalb der yezidischen Gesellschaft.

Der Glaube

Im Yezidentum gibt es keinen Propheten, bzw. gesandten Gottes in menschlicher Gestalt. Es gibt allerdings einen Engel, der im Mittelpunkt des yezidischen Glaubens steht. Es handelt sich hierbei um „Tausi-Melek[7](teilweise genannt als Engel Pfau, nach neuster sprachwissenschaftlicher Auffassung jedoch wörtlich als Engel Gottes zu übersetzen), welcher im Yezidentum fast so verehrt wird, wie Gott selbst. Er gilt aus yezidischer Sicht als oberster der sieben Engel und somit Wächter der Welt, sowie als Mittler für die Gläubigen. Der yezidischen Schöpfungsgeschichte nach, ist Tausi-Melek aktiv an der gesamten Schöpfungsgeschichte, sowie Gottes Plan beteiligt.

Im Gegensatz zu den Abrahamitischen Religionen, gibt es im Yezidentum nicht die Vorstellung über die Koexistenz eines göttlichen Widersachers, womit der Glaube an eine übermenschlich böse Gestalt entfällt.

Vielmehr wird Gott als allmächtig angesehen und Schuf den Menschen mit sowohl guten wie auch negativen Eigenschaften. Der Mensch selbst ist für seine Taten verantwortlich und kann mit seinem eigenen Willen darüber entscheiden, ob er gutes, oder böses tut. Dies entspricht einem der wichtigsten Grundsätze der ezîdischen Philosophie, nämlich der “Selbstverantwortung”.

Da man im Yezidentum an die Reinkarnation und somit die Wiedergeburt des Menschen glaubt, gibt es keine Vorstellung vom Jenseits, wie man es zum Beispiel aus den Abrahamitischen Religionen kennt (Paradies/Hölle). Das Leben endet demzufolge nicht nach dem Tod, sondern erreicht einen neuen Zustand, der wiederum von den Taten, des vergangenen Lebens abhängig ist. Die Seelenwanderung (Kras guhartin) ist somit ein weitere fundamentaler Grundsatz der ezîdischen Philosophie, bzw. Glaubenslehre. Die “Weiterentwicklung” der eigenen Seele entspricht hierbei dem Sinn des menschlichen Daseins. Die Selbstverantwortung, sich, seinen Mitmenschen, sowie der gesamten Natur gegenüber, dient hierbei wieder als Leitfaden.

Die Glaubenslehre beruht nicht auf einer heiligen Schrift, wie z.B. der Bibel, oder dem Koran. Schriftliche Überlieferungen, sind mit Ausnahme von einigen Überbleibseln, im Zuge der unzähligen Invasionen vernichtet worden. Der Ezidische Glaube basiert folglich auf mündlichen Überlieferungen, welche durch Lieder (Qewals) und Bräuche vermittelt werden.

Die Sonne ist eines der wichtigsten Symbole im Yezidentum und wurde in der frühen Geschichte sogar als Gottheit verehrt, weshalb sich viele Yeziden auch als Sonnenanbeter bezeichnen. Aus diesem Grund fällt der wichtigste Feiertag der Yeziden (Ida Ezdi) in die Wintersonnenwende, nämlich zum Ende der yezidischen Fastens Zeit[8] im Dezember jeden Jahres.

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[1] Alternative Schreibweise „Jesidentum“

[2] Monotheismus = Der Glaube an einen einzigen, allumfassenden Gott.

[3] Alternative Schreibweise „Jesiden“

[4] Der am meisten verbreitete kurdische Dialekt.

[5] Das Siedlungsgebiet der Kurden verteilt sich auf die vier Länder Türkei, Iran, Irak, Syrien.

[6] Pir  = (persisch „der Ältere“ oder „der alte, weise Mann“)

[7] Alternativ „Melek Taus“

[8] Fasten bedeutet auf Kurdisch „Roji“, was wiederum vom kurdischen Wort für Sonne „Roj“ abgeleitet ist.